Zur Haftung des Anschlussinhabers für Rechtsverletzungen (hier Filesharing) volljähriger Mitglieder einer Wohngemeinschaft

AG Karlsruhe, Urteil vom 01.08.2014 – 1 C 23/14

Haftung des Anschlussinhabers für Rechtsverletzungen (hier: Filesharing) volljähriger Mitglieder einer Wohngemeinschaft

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand
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Die Klägerin gehört zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern, ihr stehen unter anderem die ausschließlichen Verwertungsrechte als Tonträgerhersteller hinsichtlich des Musikalbums “Große Freiheit” der Musikgruppe “Unheilig” zu. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.01.2011 (Anlagenheft Kläger AS 29-35) ließ die Kläger den Beklagten unter Hinweis darauf, dass am 10.11.2010 um 20:29 Uhr von seinem Internetanschluss aus unerlaubt das betreffende Musikalbum zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sei, zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Zahlung eines Vergleichsbetrages in Höhe von EUR 1200,00 auffordern. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 02.02.2011 (Anlagenheft Kläger AS 41-59) ließ der Beklagte daraufhin erklären, dass er sich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dazu verpflichte, es zu unterlassen, das betreffende Album oder Teile hiervon ohne Zustimmung der Klägerin öffentlich zugänglich zu machen und für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu bezahlen, deren Höhe nach billigem Ermessen zu bestimmen und im Streitfall gerichtlich zu überprüfen sei.

2
Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch. Hierzu behauptet sie, dass sich im Rahmen von ihr durchgeführter Ermittlungsmaßnahmen ergeben habe, dass am 10.11.2010 um 20:29 Uhr im Rahmen eines Filesharing-Systems über die IP-Adresse … ohne ihre Zustimmung das Musikalbum “Große Freiheit” der Gruppe “Unheilig” zum Download angeboten worden sei. Die betreffende IP-Adresse sei zum fraglichen Zeitpunkt dem Internetzugang des Beklagten zugeordnet gewesen. Am 23.11.2010 um 19:46 Uhr sei das betreffende Album erneut über eine IP-Adresse (…), die zum betreffenden Zeitpunkt dem Internetzugang des Beklagten zugeordnet gewesen sei, ohne ihre Zustimmung zum Download angeboten worden.

3
Die Klägerin macht geltend, dass sie durch die betreffenden Downloadangebote im Rahmen des Filesharing-Systems in ihren Verwertungsrechten verletzt sei und daher Schadensersatz im Wege der Lizenzanalogie beanspruchen könne. Sie vertritt die Ansicht, dass eine tatsächliche Vermutung dafür bestehe, dass der Beklagte die Rechtsverletzung selbst begangen habe, weil er Inhaber des betreffenden Internetanschlusses gewesen sei; diese tatsächliche Vermutung habe der Beklagte mangels substantiierten Vortrags nicht erschüttert. Der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast sei er nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Der nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zu berechnende Schaden belaufe sich mindestens auf EUR 2500,00, dies entspreche auch den üblicherweise von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Beträgen; wegen der näheren Einzelheiten ihres Vortrags zur Höhe des entstandenen Schadens wird auf die Seiten 17 bis 21 der Anspruchsbegründung vom 04.02.2014 (AS 49-57) Bezug genommen. Des Weiteren ist sie der Auffassung, dass sie aufgrund der berechtigten Abmahnung Ersatz der hierfür entstandenen Kosten verlangen könne, wobei diese auf der Grundlage eines Gegenstandswerts in Höhe von EUR 50.000,00 zu berechnen seien; ein Betrag in dieser Höhe sei unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein vollständiges Musikalbum angeboten worden sei, angemessen.

4
Die Klägerin beantragt,

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den Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

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1. einen angemessenen Wertersatz in Höhe von mindestens EUR 2500,00

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2. EUR 1379,80 Kostenersatz

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nebst jeweils Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass eine tatsächliche Vermutung zu Lasten des Anschlussinhabers schon der Sache nach nicht gerechtfertigt sei, der Bundesgerichthof habe im Übrigen seine diesbezügliche Rechtsprechung geändert. Jedenfalls sei eine solche Vermutung aber widerlegt. Hierzu behauptet er, dass sein Internetzugang auch von weiteren – namentlich benannten – Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft selbständig benutzt worden sei, die ebenfalls als Täter in Betracht kämen. Darüber hinaus macht er geltend, dass der Klägerin überhaupt kein quantifizierbarer Schaden entstanden sei; wegen der Einzelheiten seines diesbezüglichen Vorbringens wird auf die Seiten 5 bis 7 der Klageerwiderung vom 10.03.2014 (AS 87-91) Bezug genommen. Er hält außerdem die Abmahnung für unwirksam und den der Berechnung der Abmahnkosten zugrunde gelegten Streitwert für überhöht.

12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

1.

14
Ein auf Zahlung von von EUR 2.500,– gerichteter Schadensersatzanspruch gemäß § 97 Abs. 2 UrhG steht der Klägerin gegen den Beklagten nicht zu.

15
Es kann dahinstehen, ob über eine dem Beklagten zugewiesene IP-Adresse ohne Zustimmung der Klägerin das unter ihr Verwertungsrecht fallende Musikalbum “Große Freiheit” zum Download bereitgehalten und dadurch Urheberrechte der Klägerin verletzt worden sind, weil jedenfalls nicht bewiesen ist, dass der Beklagte Täter der behaupteten Rechtsverletzung war.

16
Die Klägerin trägt nach allgemeinen Grundsätzen als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs erfüllt sind. Danach ist es grundsätzlich ihre Sache, darzulegen und nachzuweisen, dass der Beklagte für die von ihr behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist (vgl. BGH NJW 2013, 1441). Diesen ihr obliegenden Beweis hat sie nicht geführt. Entgegen ihrer Auffassung kann ihre diesbezüglich Behauptung nicht aufgrund einer für die Täterschaft des Beklagten sprechenden tatsächlichen Vermutung und mangels substanziierten Bestreitens des Beklagten als zugestanden bzw. bewiesen angesehen werden. Wird ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder eine urheberrechtlich geschützte Leistung der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, a.a.O.) zwar eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers greift nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das erkennende Gericht folgt, jedoch dann nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (vgl. BGH. Urt. v. 0801.2014,I ZR 169/13, zit nach juris). In einem solchen Fall trifft den Anschlussinhaber zwar eine sekundäre Darlegungslast, die aber weder zu einer Umkehr der Beweislast führt noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen (BGH, Urt. v. 08.01.2014).

17
Dieser ihm obliegenden Darlegungslast hat der Beklagte genügt, indem er vorgetragen hat, dass sein Internetzugang ihm Rahmen einer Wohngemeinschaft von weiteren Mitgliedern der Gemeinschaft tatsächlich selbständig benutzt wurde, und er die betreffenden Personen namentlich benannt und – bis zum Ablauf der ihm gesetzten Schriftsatzfrist – zudem jedenfalls die genaue Adresse einer dieser Personen mitgeteilt hat. Es obliegt dem Beklagten entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, diesen Vortrag auch zu beweisen; denn die sekundäre Darlegungslast ändert, wie bereits ausgeführt, nicht die Beweislast. Weiterhegende Angaben können von dem Beklagten nicht verlangt werden. Unter diesen Umständen ist es Sache der Klägerin, die für eine Täterschaft des Beklagten sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen; ihre bloße Erklärung mit Nichtwissen zum dem Vortrag des Beklagten ist unbehelflich. Die Klägerin ist dadurch auch nicht etwa rechtlos gestellt, weil sie sich auf die von dem Beklagten als mögliche Täter in Betracht kommenden weiteren Nutzer des Internetanschlusses zur Widerlegung des Vortrags des Beklagten als Zeugen berufen könnte.

2.

18
Auch ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Abmahnkosten gemäß § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG in der bis zum 08.10.2013 geltenden Fassung steht der Klägerin gegen Beklagten nicht zu.

19
Ein auf Ersatz von Abmahnkosten gerichteter Anspruch setzt zwar nicht den – hier nicht geführten – Nachweis einer Täterschaft bezüglich einer Urheberrechtsverletzung voraus, weil ein Unterlassungsanspruch und ein daraus resultierender Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten auch im Falle einer bloßen Störereigenschaft des in Anspruch genommen in Betracht kommt.

20
Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der Inanspruchgenommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die weder als Täter noch als Teilnehmer für die begangene Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden können, setzt die Haftung als Störer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten, voraus. Ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen eine Verhinderung der Verletzungshandlung des Dritten zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (zum Vorstehenden vgl. BGH, Urt. v. 08.01.2014, I ZR 169/12; BGH NJW 2013, 1441). Danach (vgl. BGH, Urt. v. 08.01.2014, I ZR 169/12) ist der Inhaber eines Internetanschlusses grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Familienangehörige über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen oder von sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu belehren und ihnen die Nutzung des Internetanschlusses zur rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen oder zu sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu verbieten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen. Für volljährige Mitglieder eine Wohngemeinschaft kann nach Ansicht des Gerichts nichts anderes gelten. Internetanschlüsse sind die Telefonanschlüsse der Moderne. Niemand käme auf die Idee, von einem Gastgeber zu verlangen, seine Gäste, die das Telefon benutzen möchten, ohne konkreten Anlass zu belehren, keine Rechtsverletzungen am Telefon zu begehen, etwa beleidigende Anrufe zu unterlassen. Die Eigenverantwortlichkeit des Handelnden überlagert in solchen Fällen die Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers (vgl. Marly, LMK 2014, 359379, Anm. zu BGH, Urt. V. 08.01.2014, I ZR 169/12).

II.

21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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